Ja, es stimmt. Die aktuelle Erdbeben-Situation in der Türkei und in Syrien hat mich zu diesem Blogartikel gebracht.  Immer wieder, wenn eine Katastrophe über uns hereinbricht, die uns jedoch nicht direkt betrifft, ist dieses Phänomen zu beobachten. Bei manchen Menschen löst es Mitgefühl, bei anderen hingegen Mitleid aus.

Es starten die Diskussionen auf Social Media, wieviel Business jetzt noch angebracht ist und ob man jetzt – im Angesicht dieser Katastrophe – noch über seinen banalen Alltag sprechen darf. Menschen hier schauen Tag und Nacht Nachrichten und identifizieren sich nahezu vollständig mit den Betroffenen. 

Mit meinem Statement setz ich mich vielleicht ein bisschen in die Nesseln, aber das macht nichts, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es uns und allen (auch den betroffenen) Menschen besser geht, wenn wir endlich diesen Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl verinnerlichen. 

Was ist Mitleid?

Wenn wir das Wort genau betrachten, dann ist schon alles klar. Mitleid bedeutet, dass wir mit den anderen mit leiden. Es findet eine Identifizierung statt. Wir als Nicht-Betroffene übernehmen die Gefühle der Betroffenen und fühlen uns fast, als ob wir selbst in dieser furchtbaren Situation stecken. 

Diese Identifizierung führt dazu, dass wir unsere eigene Realität zur Seite schieben und damit auch unsere eigenen dazugehörigen Gefühle. 

Die Konsequenz: Trauer, Schwere, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Handlungsunfähigkeit

Aus meiner Beobachtung ist diese Identifizierung mit den Gefühlen der anderen in unserer Gesellschaft sehr weit verbreitet.

Klassische Alltagssituationen: 

Ich bin frisch verliebt und die beste Freundin hat sich gerade getrennt. Aus Rücksicht zeige ich meine Glücksgefühle nicht, sondern begebe mich gemeinsam mit ihr in ihren Leidens-Zustand. Vielleicht geht es sogar so weit, dass ich mein frisches Glück verschweige.

Die Stimmung im Büro ist ausgelassen und gut. Die Kollegin, die gerade eine schwere Phase durch macht und deshalb meist traurig und schweigsam ist, betritt den Raum. Das Gelächter verstummt, die gute Laune wird weggepackt. Betroffenes Schweigen macht sich breit.

Was ist Mitgefühl?

Auf den ersten Blick könnte man meinen, es unterscheidet sich nicht wesentlich von Mitleid. Denn wenn ich mitfühle, dann kann ich mich ja genauso mit den Gefühlen der anderen identifizieren. Stimmt. Ich verstehe Mitgefühl aber in eine andere Richtung. 

Wenn ich mitfühle, dann bin ich mit meiner Realität und meinen Gefühlen in Verbindung. Ich spüre mich und bin als ICH anwesend. Gleichzeitig spüre ich, was bei meinem Gegenüber los ist und kann empathisch darauf eingehen. 

Aber ich lasse mich nicht mit diesen Gefühlen vollsaugen, bis sie mich völlig vereinnahmt haben. 

Die Konsequenz: Ich bleibe in meinem Gefühl und spüre, wie es dem oder der anderen geht. Ich behalte einen gewissen Abstand und bin dadurch handlungsfähig, weil ich nicht im gleichen Zustand bin. 

Identifikation oder Projektion?

Wie oben schon beschrieben. Es findet eine Identifikation statt.
Genau genommen findet in vielen Fällen aber eine Projektion statt. Denn die Gefühle der Menschen, mit denen wir uns da identifizieren, die gibt es in uns schon lange, bevor sie durch diese Katastrophen wieder aktiviert werden. 

Nur sind sie so gut verpackt und versteckt, dass wir sie nicht wahrnehmen. 

Die ganze Trauer und Hilflosigkeit, die Ohnmachtsgefühle, der Schmerz – eigentlich gehört der uns selbst. 

Finden Katastrophen im Außen statt, so ist das eine wunderbare Gelegenheit, diese Gefühle endlich zu fühlen, indem wir uns in die Situation hineinstürzen. 

Man könnte meinen: Ist doch egal, Hauptsache, die Gefühle werden gefühlt. 

Aber dem ist nicht so. Denn wenn ich diese Gefühle ins Außen projiziere, dann ist mir nicht bewusst, dass es eigentlich MEINE Gefühle sind, die ich da fühle. Ich leide ja “nur” mit. Dementsprechend übernehme ich keine Verantwortung für diese Gefühle. 

Und wenn ich sie nicht als meine anerkenne, dann sehe ich auch keine Notwendigkeit, mich über diese Katastrophen hinaus damit zu beschäftigen. 

Hat sich die Situation wieder beruhigt oder ist sie schlicht im Lauf der Zeit in Vergessenheit geraten, verziehen sich die Gefühle wieder in den Untergrund und warten bis zur nächsten Katastrophe, um dann wieder aufzutauchen. 

Angenommen es ist keine Projektion, sondern “nur” eine Identifikation und ich habe diese Gefühle wirklich nirgends in mir:

Dann ist es genauso ungesund. 

Denn dann übernehme ich die Verantwortung für Gefühle, die nicht meine sind. Ich mache mir etwas zu eigen, was nicht mir gehört. Das ist übergriffig. 

Ja, ich weiß, das ist provokativ. 

Aber genau das ist der Grund für so viele toxische Beziehungen. Wenn wir von Kind an gelernt haben, die Verantwortung für die Gefühle unserer Mitmenschen zu übernehmen, dann führt das über kurz oder lang in die emotionale Co-Abhängigkeit. 

Darüber hab ich schon mal sehr ausführlich geschrieben, deshalb geh ich hier jetzt nicht näher drauf an. Mehr dazu findest du in diesem Blogartikel: Wie du Co-Abhängigkeit lösen kannst

Kollage mit vier Fotos. Das erste Bild zeigt eine Frau, die in einen zerbrochenen Spiegel schaut. Das zweite eine Frau, die sich im Spiegel anschaut, das dritte und vierte zeigt die Frau, wie sie ihre eigene Hand und ihr eigenes Gesicht im Spiegel berührt
Wie du Co-Abhängigkeit lösen kannst

Handlungsfähig können wir handeln

Ist doch logisch?! Ja, das ist es. 

Und doch ist es in solchen Situationen für viele oft so weit weg. Denn wenn ich gerade so handlungsunfähig bin, dass ich meine Dienstleistung oder Produkte nicht mehr verkaufe, dann nimmt mir das vermutlich die Möglichkeit, mit Leichtigkeit zu spenden. 

Wenn ich emotional im gleichen Zustand bin, wie die Menschen, denen es schlecht geht, weil ich mich mit ihren Gefühlen identifiziere, dann bin ich keine Stütze und kein Halt, sondern im schlimmsten Fall jemanden, um den man sich jetzt auch noch kümmern muss. 


Falls du dich jetzt hier beim Mitleid wiedergefunden hast und ich dich wahnsinnig getriggert habe mit all dem, was ich hier schreibe:

Ich verurteile dich nicht dafür! Denn all das kommt immer aus deiner Geschichte. Und für die kannst du erstmal gar nichts. Die hast du erlebt, als du noch nichts daran ändern konntest. Es gibt immer eine Ursache dafür, dass das in unserer Gesellschaft – und vielleicht auch bei dir – so stark vorhanden ist. 

Veränderung ist erst möglich, wenn wir uns über etwas bewusst werden. 

Deshalb war ich hier so klar und deutlich. 

Denn nur, weil wir von etwas geprägt sind, heißt das nicht, dass wir das ein Leben lang so weiterführen müssen. Es gibt JEDERZEIT die Möglichkeit, aus der eigenen Prägung auszusteigen und neue Wege zu gehen. 

Ich finde es wichtig, dass Menschen Verantwortung für sich und ihre eigenen Gefühle übernehmen und die Gefühle der anderen auch dort lassen, wo sie hingehören. 

Denn dann sind klare und freie Beziehungen möglich, die wirklich Verbindung schaffen und nicht aus Abhängigkeiten heraus geführt werden. Und unsere Welt braucht dringend gesunde und beziehungsfähige Menschen. 

Bist du getriggert und herausgefordert? Schreib mir gerne und lass uns in den Austausch gehen!

Findest du dich hier in meinen Beschreibungen wieder und willst endlich was dran ändern?

Ich begleite dich gerne dabei. Buch dir, wenn du magst, ein kostenfreies und unverbindliches Kennenlern-Gespräch.

Generose Sehr

Sängerin und Spezialistin für den emotionalen Deep Shit

Ich brenne dafür, Menschen dabei zu unterstützen ihren ureigenen Weg zu finden und echtes Selbst-Bewusst-Sein zu entwickeln – abseits von Gesellschaftsmustern, familiären Prägungen und „das macht man halt so“. Mein Herz schlägt für Visionär*innen und Menschen, die das Gefühl haben, in unserer Gesellschaft fehl am Platz zu sein.
Ich selbst bin Entwicklungsjunkie und süchtig nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen. Das hat dazu geführt, dass ich nach meinem Studium in Gesangspädagogik noch eine Ausbildung in Craniosaraler Körperarbeit und den Epigenetik Coach angehängt habe und da stehen noch ein paar mehr Dinge auf meiner Liste.
Ich schreibe hier über transgenerationale Vererbung, frühkindliche und pränatale Prägungen und wie sich das auf unser Leben auswirkt. Außerdem erzähle ich gerne meine eigenen Geschichten (oder die meiner Klient*innen), um zu zeigen, wie wir den alltäglichen Herausforderungen des Lebens begegnen können.

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