Wut ist ein Gefühl. Oft eines, das nur im Inneren stattfindet und – je nach Persönlichkeit – eher selten den Weg nach außen findet. Und wenn, dann wahrscheinlich nur im vertrauten Rahmen von Partnerschaft oder Familie. In unserer Gesellschaft ordnen wir diesen Wut-Zustand meist negativ ein und fragen uns, wie wir diese innere Wut möglichst schnell loswerden können. 

Meine Recherche im Vorfeld hat mich auf einige spannende Artikel zu diesem Thema gebracht. Diese werde ich am Ende des Beitrags verlinken. Es hat mir aber auch gezeigt, dass mein Ansatz, diese innere Wut loszuwerden, ein ganz anderer ist. 

Deshalb wird der erste Teil dieses Artikels erstmal eine Erklärung zum Thema innere Wut sein und im zweiten Teil erfährst du dann, wie du diese innere Wut loswerden kannst. 

Woher kommt diese innere Wut?

Natürlich sind das chemische Prozesse in unserem Körper, doch ich möchte hier lieber von einer anderen Seite auf das Thema schauen. 

Was ist Wut eigentlich? 

Aus meiner Sicht: Kraft, die nicht im Fluss ist bzw. die unterdrückt wurde 

Wie innere Wut in der Kindheit entsteht

Ein kleines Beispiel: Kinder sind ganz natürlich im Laufe ihrer Entwicklung wütend. Wenn die kleine Schwester gerade das Spielzeug belegt. Oder wenn sie den Keks nicht bekommen oder das interessante Ding auf dem Tisch nicht erreichen, weil die Arme noch nicht lang genug sind. 

Die Wut von Kindern ist unglaublich kraftvoll. 

Und wenn wir jetzt an unsere eigene Kindheit zurückdenken (sofern es da so genaue Erinnerungen gibt): Wie haben unsere Eltern auf diese Wut reagiert? 

Mit Liebe und Verständnis, mit Ruhe und Zuwendung?

Wohl eher selten. In den meisten Fällen waren sie wahrscheinlich überfordert, es war ihnen peinlich vor anderen Anwesenden und die Konsequenz war:
“Schrei nicht so.”
“Sei nicht so laut.”
“Jetzt reiß dich mal zusammen.” oder auch
“Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, dann…”

Ich wurde mit meiner Wut einfach allein gelassen in meinem Zimmer. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und meine Mama ging einkaufen. Und bei Papa durfte ich nicht laut sein, denn der brauchte seine Ruhe – immer. 

Als Kind ist unsere oberste Priorität, geliebt zu werden. Denn das ist überlebenswichtig. 

Wenn ich also auf meine Wut immer wieder negative Reaktionen bekomme, dann werde ich irgendwann lernen: so darf ich nicht sein. Wenn ich so bin, dann bin ich alleine oder dann mag mich niemand mehr. 

Die Konsequenz: ich beginne, dieses Gefühl zu unterdrücken.

Gleichzeitig speichert sich die Verbindung von Wut und den entsprechenden Reaktionen in unserem System ab und führt dazu, dass wir auch im Erwachsenenleben möglichst keine Wut zeigen. 

Je nachdem, wie krass unsere Erlebnisse diesbezüglich waren, kann es sein, dass wir gar keine Wut mehr spüren, sie also komplett unterdrückt haben. 

Was das fürs Leben bedeutet, darauf komm ich später zu sprechen. 

Was, wenn die Wut nicht dir gehört? Von vererbten Gefühlen und Spiegelneuronen

Aus meiner Sicht gibt es zwei Wege, wie Wut zu uns findet, die eigentlich nicht direkt aus unserem System kommt. Diese zwei Wege hängen tatsächlich relativ eng miteinander zusammen.

Vererbte Gefühle

Gefühle können vererbt werden. Inzwischen gibt es viele Forschungen im Bereich der Epigenetik zu diesem Thema. Die letzten Beweise fehlen noch, aber sowohl die zahlreichen Studien an Mäusen als auch die Beobachtungen und Erfolge aus Therapie und Coaching (mit Menschen ;-)) lassen vermuten, dass an dieser Theorie was dran ist. 

So kann es also zunächst sein, dass unsere Eltern genau die vorher beschriebene Situation in ihrer Kindheit erlebt haben und demnach eine Wut in sich tragen, die sie selbst nicht mehr wahrnehmen können, weil sie so gut unterdrückt ist. 

Die Beobachtung zeigt: Unterdrückte Gefühle werden besonders stark weitervererbt. 

So kann es sein, dass ich als Kind die unterdrückte Wut meiner Eltern spüre und beginne, sie auszudrücken. Damit wiederholt sich sehr wahrscheinlich der Kreislauf. Denn meine kindliche Wut wird die Wut in meinen Eltern triggern und nachdem diese aber in ihrem System “verboten” ist, werden sie auch auf meine Wut mit Unterdrückung reagieren. 

Oder – wie es in meinem Fall war – mit einer Mischung aus Unterdrückung und Ignorieren. 

Ich weiß heute, dass ich in meinem kindlichen Jähzorn die unterdrückte Wut meiner Eltern ausgelebt habe und ihre Reaktionen genauso waren, wie sie auch selbst auf ihre eigene Wut reagiert haben. Unterdrückung und negative Konsequenzen auf der einen Seite und Ignorieren und Alleinelassen auf der anderen Seite. 

Diese unterdrückte Wut kann jedoch auch von konkreten Erlebnissen aus dem späteren Leben unserer Vorfahren kommen. Und tatsächlich müssen diese Erfahrungen nicht zwingend unsere Eltern gemacht haben, sondern es kann auch sein, dass bei der Großeltern- oder sogar Urgroßeltern-Generation der Beginn dieser Wut-Unterdrückungs-Kette ist. 

Beispiele

Es gibt unglaublich viele Situationen, die Ursache für diese Kettenreaktion sein können. Ich nenne hier nur einige:

  • Vielleicht war ein Familienmitglied (oder mehrere) mit den politischen Entwicklungen nicht einverstanden, durfte aber – vielleicht sogar innerhalb der eigenen Familie – darüber nicht sprechen. Die Konsequenzen wären wahrscheinlich Ausschluss aus der Familie, Verfolgung bis hin zum Tod gewesen. Ein guter Grund, die Wut auf die Entwicklungen nicht auszudrücken.
  • Vielleicht haben (möglicherweise innerhalb der Familie) Übergriffigkeiten stattgefunden. Emotionaler oder körperlicher Art. Übergriffe finden meist statt von stärkeren Personen gegenüber schwächeren. Die Ohnmacht und Hilflosigkeit gehen oft einher mit einer Wut, die auf keinen Fall ausgedrückt werden darf, weil das wahrscheinlich zu noch mehr Übergriffigkeiten führen würde. 
  • Vielleicht hätte der Großvater gerne studiert und seine Träume verwirklicht, wurde aber gezwungen, den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Auch hier eine klassische Abhängigkeits-Situation, die unweigerlich zu Wut führt, die jedoch nicht gelebt werden darf. 

Diese klassischen Situationen führen dazu, dass unterdrückte Wut von Generation zu Generation weitergegeben wird. So lange, bis jemand hinschaut und die Geschichten hinter dieser Wut aufdeckt.

Spiegelneuronen

Vielleicht kennst du diese Situation, dass du gegenüber bestimmten Menschen besonders impulsiv bist oder dass sie dich extrem aufregen und du nicht verstehst, warum du gerade bei ihnen so stark reagierst. 

Es kann sein, dass du die unterdrückte Wut dieser Menschen spürst und spiegelst. 

Insbesondere in Partnerschaften kommt es schon mal vor, dass wir diese Wut des Gegenübers übernehmen und stellvertretend ausdrücken. 

Das bedeutet aber eigentlich immer, dass auch in dir ein verstecktes Wut-Päckchen wohnt, das darauf wartet, von dir entdeckt und ausgepackt zu werden. Denn die Gefühle von anderen Menschen können immer nur an etwas in uns andocken, was schon vorhanden ist. 

Gesunde Wut: die Fähigkeit, Grenzen zu setzen

Wut steht immer in Zusammenhang mit Grenzen. Kann ich Grenzen setzen, habe ich die Kraft, für mich einzustehen. 

Wut ist also eigentlich Kraft. Je mehr sie verboten und unterdrückt wird, umso destruktiver und stärker wird sie. 

Ich zäum das Pferd mal von hinten auf: 

  • Habe ich die Kraft für mich einzustehen, mir meinen Raum zu nehmen und klare Grenzen zu kommunizieren und zu halten, dann brauche ich im Normalfall keine Wut. Ich kommuniziere ruhig, klar und bestimmt. 
  • Gibt es dann doch mal jemanden, der meine Grenzen überschreitet, dann kann ich meine aufkommende Wut dafür nutzen, meine Grenzen klar zu machen und mein Gegenüber in die Schranken zu weisen. 
  • Ist Wut in meinem System jedoch verboten, dann bin ich unfähig, Grenzen zu setzen. Das führt dazu, dass immer wieder Menschen meine Grenzen überschreiten, was wiederum zu noch mehr Wut in mir führt. 
  • Wenn es aber verboten ist, diese auszudrücken (weil in meinem System die negativen Konsequenzen aus Kindheit oder Vorgenerationen schlummern), dann schlucke ich diese Wut immer wieder runter. 

So lange, bis sie sich in Wut gegenüber mir selbst verwandelt. Oder bis der Zustand so unerträglich wird, dass mein System beschließt, sie einfach nicht mehr zu spüren. 

Hier schließt sich der Kreis. 

Immer wieder in unserem Leben begegnen wir Menschen, die in der Lage sind, diese unterdrückte Wut in uns zu triggern. Dann zeigt sie sich aber in einer Stärke, die der Situation meist nicht angemessen ist, vielleicht auch als dauerhafte innere Wut. Darum kümmern wir uns jetzt.

schwarz-weiß Bild, wie jemand mit einem großen Stein einen Spiegel zertrümmert, der in 1000 Scherben bricht
Wenn innere Wut zu äußerer Wut wird – etwas vor dem viele Menschen große Angst haben

Innere Wut loswerden – Schritt für Schritt

Aus den oben aufgeführten Erklärungen erschließt sich jetzt nämlich meine Anleitung, wie du diese innere Wut loswerden kannst. 

1. Wofür willst du dein Kraft einsetzen?

Mach dir klar, dass deine innere Wut eigentlich Kraft ist und überleg dir, wofür du sie gerne einsetzen möchtest. (klare Grenzen setzen, deine Meinung sagen, mutige Entscheidungen treffen etc.)
Überlege dir deinen Zielzustand. Wie willst du dich fühlen? Wie willst du mit bestimmten Situationen, die dir jetzt Schwierigkeiten machen, umgehen?
Stell dir vor, du hättest dein Ziel schon erreicht. Wie fühlt sich das an? Was verändert sich dadurch in deinem Leben?

2. Wem gehört die Wut?

Frag dich: wieviel Prozent dieser Wut, die du spürst, ist tatsächlich deine? Oder anders gefragt: wieviel dieser Wut gehört NICHT dir?
Diese Frage kannst du wahrscheinlich nicht mit dem Kopf beantworten.
Deshalb nimm dir eine ruhige Minute, atme dreimal tief durch und frage deinen Körper. Schau, welche der beiden Fragen dir sympathischer ist und dann geh einfach mit der ersten Zahl, die dir einfällt. 

Es kann alles dabei rauskommen. Es kann sein, dass es dir schwer fällt, dir vorzustellen, dass diese Wut zu jemand anderem gehört, weil du das Gefühl hast, etwas abzuwälzen oder jemanden zu beschuldigen.
Da kann ich dir sagen: meistens verändert es für die jeweilige Person nicht viel oder gar nichts, wenn du erkennst, dass du Wut von ihr übernommen hast. Es verändert aber deinen Umgang mit diesem Menschen, weil du eine andere Sicht bekommst und höchstwahrscheinlich anders auf ihn oder sie zugehen kannst.

3. Mach dich an die Forschung

Wenn du festgestellt hast, dass deine Wut nicht zur Gänze dir gehört, dann kannst du dich jetzt auf die Suche nach den Ursachen machen.
Wer in deiner Familie ist noch wütend?
Wer bringt dich zur Weißglut?
Auf welche Situationen reagierst du besonders wütend?
Von welchen Erfahrungen / Erlebnissen in deiner Familie weißt du, die mit dieser Wut in Zusammenhang stehen könnten?
Schreib alles auf und frag auch gerne in deiner Familie nach. Da warten oft richtig spannende Erkenntnisse.

4. Zwischencheck mit dem Körper

Spür in deinen Körper. Was hat sich jetzt schon verändert? 

Spürst du Erleichterung? Ein Gefühl der Hoffnung, dass es eine Lösung für deinen unangenehmen Zustand gibt?
Falls du noch keine Veränderung spürst, ist das nicht schlimm. Dann braucht es wahrscheinlich noch mehr Forschungsarbeit. Insbesondere, wenn ein relativ hoher Prozentsatz deiner Wut zu dir gehört, wirst du erst im nächsten Schritt ans Eingemachte gehen. 

5. Der Umgang mit deiner eigenen Wut

Jetzt widmen wir uns der Wut, die tatsächlich dir gehört. Dafür kannst du mal in deiner Kindheit schauen.
Wie war der Umgang mit Wut in deiner Familie?
War sie erlaubt oder wurde sie bestraft?
Gab es vielleicht eine Bezugsperson, die besonders wütend oder unberechenbar war?
Was glaubst du, mit welchen Konsequenzen bist du konfrontiert, wenn du deine Wut zeigst?

Schreibe dir alle deine Erkenntnisse auf und mach dir klar, dass du heute nicht mehr Kind bist. Du bist erwachsen und hast vollkommen andere Handlungsmöglichkeiten. Wenn es jemanden in deinem Umfeld gibt, der oder die exakt gleich auf deine Wut reagiert, wie deine Eltern damals, dann sind die in deinem Leben, weil du dir eine bekannte Situation wieder gesucht hast. Es ist Zeit, das Thema anzusprechen und einen anderen Umgang damit zu finden. 

6. Übe Wut

Erlaube dir Wut, in Situationen, die keine Konsequenzen haben. Hau in ein Kissen, geh in den Wald und schrei. Übe es, diese Wut auszudrücken. Denn erst, wenn sie für dich den Schrecken verliert, wirst du dich auch trauen, sie anderen Menschen zu zeigen. 

Wenn du übst, dann spür in deinem Körper, welche Kraft in dieser Wut steckt.

7. Sprich über deine Wut

Beginne, deine Wut in Worte zu fassen. Wenn du merkst, dass du wütend bist, dann sprich es aus. Je früher es dir gelingt, umso weniger Wut kommt mit – versprochen. Im Lauf der Zeit wird es dir gelingen, deine Wut dazu zu nutzen, um deine Grenzen klar zu kommunizieren.

8. Der Meister ist weit öfter gescheitert, als der Schüler es je versucht hat

Einer meiner Lieblingssprüche, wenn es ums Lernen von neuen Dingen geht. Das kann eine Sportart sein oder ein Musikinstrument. Es gilt aber auch für das Erlernen von neuen Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensweisen.
Es ist normal, wenn du am Anfang immer wieder scheiterst. Du wirst sehen, mit jedem Mal üben, kommst du ein kleines Schrittchen weiter. 

Du erkennst schneller, was los ist. Du kommunizierst früher. Du merkst frühzeitig, wann du spiegelst. 

Und irgendwann gelingt es dir, rechtzeitig den anderen Weg einzuschlagen. 

Das wichtigste auf dem Weg, deine innere Wut loszuwerden, ist dich mit ihr zu beschäftigen. Immer und immer wieder. Wahrscheinlich wirst du die Schritte 3 – 7 viele viele Male wiederholen. 

Das ist normal! Denn innere Arbeit ist auch Arbeit. Aber es lohnt sich! Versprochen!

Schreib mir gern deine Erfahrungen mit dieser Schritt für Schritt-Anleitung. Ich bin gespannt, was das für dich verändert!

Und falls du an einer Stelle hängst und nicht weiterkommst, dann meld dich gerne bei mir und wir schauen, ob ich dich bei deiner Verwandlung von innerer Wut zu Kraft unterstützen kann. 

Hier kannst du dir ein Kennenlern-Gespräch mit mir vereinbaren.

(Dieses Gespräch ist kostenfrei und du verpflichtest dich damit zu nichts. Trotzdem freue ich mich, wenn du den Termin ernst nimmst und absagst, falls du doch nicht kommen kannst.)

ein schwarz-weiß Portrait Foto von mir

Diese beiden Artikel habe ich im Vorfeld zu meinem Thema gelesen. Hier findest du sicher all die Infos, die ich hier nicht nochmal aufgegriffen habe.

Generose Sehr

Sängerin und Spezialistin für den emotionalen Deep Shit

Ich brenne dafür, Menschen dabei zu unterstützen ihren ureigenen Weg zu finden und echtes Selbst-Bewusst-Sein zu entwickeln – abseits von Gesellschaftsmustern, familiären Prägungen und „das macht man halt so“. Mein Herz schlägt für Visionär*innen und Menschen, die das Gefühl haben, in unserer Gesellschaft fehl am Platz zu sein.
Ich selbst bin Entwicklungsjunkie und süchtig nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen. Das hat dazu geführt, dass ich nach meinem Studium in Gesangspädagogik noch eine Ausbildung in Craniosaraler Körperarbeit und den Epigenetik Coach angehängt habe und da stehen noch ein paar mehr Dinge auf meiner Liste.
Ich schreibe hier über transgenerationale Vererbung, frühkindliche und pränatale Prägungen und wie sich das auf unser Leben auswirkt. Außerdem erzähle ich gerne meine eigenen Geschichten (oder die meiner Klient*innen), um zu zeigen, wie wir den alltäglichen Herausforderungen des Lebens begegnen können.

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