Jeder Mensch kennt dieses Gefühl, wenn einem plötzlich in einem Gespräch ein unbedachter Satz über die Lippen rutscht. Einmal mit voller Wucht ins Fettnäpfchen gehüpft. Je nachdem, um welches der vielen Tabuthemen es sich handelt, ist das aber kein Näpfchen mehr, sondern schon ein ausgewachsener Napf. Ich erinnere mich da immer noch an eine Geschichte aus meiner Jugend. Ich war in einem Freundeskreis unterwegs, der an zwei verschiedenen Gymnasien zur Schule ging. Eines Tages beschäftigte mich, dass der Schulleiter des einen (katholischen) Gymnasiums von seinem Posten entfernt wurde, weil er eine Affäre gehabt hatte. Ich sprach mit meinen Freunden darüber: „Hast du schon gehört, dass der Schulleiter X jetzt rausgeworfen wurde, weil er eine Affäre hatte?“ – Das Problem an der Sache: Mein Gegenüber war der Sohn dieses Schulleiters.
Na, spürst du es? Dieses unangenehme Gefühl. Die Scham. Die Starre. Den abgewendeten, hilfesuchenden Blick. Das Rotwerden. Den Wunsch, dass sich da ein Loch im Boden auftun möge. Das Gefühl, hier etwas gesagt zu haben, was eigentlich niemals hätte ausgesprochen werden sollen. Willkommen in der Welt der Tabuthemen.
Tabuthemen haben eine unglaubliche Macht. Sie beeinflussen uns körperlich, emotional und mental. Sie greifen auf alle Ebenen unseres Systems ein. Damit schränken sie wesentlich unsere (natürliche) Leistungsfähigkeit ein. Wie genau, darum soll es hier in diesem Blogartikel gehen.

Die gefährliche Macht von Tabuthemen

Vielleicht hast du dich schon gefragt, warum jemand, die sich den Themen High Performance und Selbstbewusstsein verschrieben hat, hier jetzt auf einmal über Tabus spricht (und sogar eine ganze Blogparade dazu veranstaltet). Ganz einfach: Tabus haben einen enormen Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit (#highperformance) und auf unser Selbstbewusstein (#selbstzweifel).
Denn das ganze System eines Menschen, der oder die von einem Tabuthema betroffen ist, arbeitet daran mit, dass dieses Tabu nicht ans Tageslicht kommt. Denn das ist für dieses System mit Gefahr verbunden.

Von Konrad Adenauer stammt der Satz: „Es gibt Themen, über die spreche ich nicht mal mit mir selbst.“ Das fasst es sehr gut zusammen. Alles im System ist darauf ausgelegt, dieses Thema zu vermeiden. In Gedanken, Gefühlen und Handlungen. Dieses Thema ist aber trotzdem da (und oft auch sehr prägend und belastend). Und so kannst du dir vorstellen, was das für ein Aufwand ist. Das Problem daran: vielen Betroffenen ist dieser Aufwand gar nicht bewusst, weil er so automatisch vom System ausgeführt wird, dass gar nicht klar ist, wie viel Kraft das wirklich kostet und auf welche Lebensbereiche es tatsächlich Einfluss nimmt.

Ein Tabubruch bewirkt Wunder

Ich selbst bin in einer Familie aufgewachsen, in der über nichts gesprochen wurde. Weder in der Vorbereitung (ich wusste nichts über die Periode, bis ich sie selbst bekam), noch wenn es um Konflikte ging (mein Vater schwieg tagelang und man wusste oft nicht, was jetzt eigentlich das Problem ist). Über Sexualität wurde natürlich überhaupt gar nicht gesprochen. An dieser Stelle kann ich tatsächlich einmal der Schulbildung danken, dass ich nicht schon als 14-Jährige schwanger wurde.
Erst viel später (genau genommen in meiner Cranio-Ausbildung von 2017 – 2019) wurde mir klar, wie schambehaftet viele Themen für mich tatsächlich waren. Und da bin ich wirklich stolz drauf, denn heute ist das nicht mehr so. Ich kann inzwischen über ziemlich alles sprechen. Manchmal merke ich, dass ein alter Teil das Ruder übernimmt, dann werde ich noch rot oder spüre, dass ein Unbehagen aufkommt. Aber das passiert immer seltener.

Die wirkliche Macht eines Tabus bzw. eines Tabubruchs wurde mir dann in der Arbeit einer Klientin bewusst. Sie kam auf mich zu, weil sie seit 14 Jahren (!!) eine Geschichte mit sich herumtrug, die sie noch fast niemandem erzählt hatte. Vor allem nicht den Menschen in ihrem engen Umfeld, die vielleicht sogar Teil dieser Zeit waren. Diese Klientin versuchte seit 1,5 Jahren schwanger zu werden. Wir starteten in die Arbeit und sie beschloss, dass es an der Zeit sei, dieses Tabu endlich zu brechen. Es sollte noch ein weiter Weg werden, aber der Körper glaubte ihr offenbar, denn zwei Wochen nach unserem gemeinsamen Start wurde sie schwanger. Die ausführlichere Version der Geschichte kannst du hier lesen: Tabu brechen wirkt Wunder

Der Einfluss von Tabus auf die psychische Leistungsfähigkeit

Erinnerst du dich an meine Einleitung mit dem Freund und seinem Vater, dem Schulleiter? Und an die Gefühle, die ich hatte, als ich in diesen Mega-Fettnapf getreten bin? Mit diesen Gefühlen sind Menschen, die ein Tabu mit sich herumtragen, tagtäglich konfrontiert. Mal mehr und mal weniger bewusst. Wenn du dich da nochmal reinversetzt, dann kannst du dir vorstellen, wie viele psychische Kapazitäten das bindet.
Ein Tabu geht eigentlich immer mit Scham- und Schuldgefühlen einher. Allein diese stellen schon eine enorme psychische Belastung dar. Zudem sind (je nach Art und Schwere) des Tabu-Ereignisses auch Trauer, Ohnmacht, Wut und Schmerz damit verbunden. Gefühle wollen gefühlt werden. Wenn jedoch das gefühlsauslösende Ereignis tabuisiert = im System verboten ist, dann sind natürlich auch die dazugehörigen Gefühlszustände verboten. Die Betroffenen sind also ständig damit beschäftigt, diese zu unterdrücken und die ständig anwesenden Scham- und Schuldgefühle in Schach zu halten.
Oft haben die Betroffenen auch richtiggehend Angst, dass irgendjemand ihr gut gehütetes Geheimnis aufdecken könnte. Das führt zu einem enormen Stress im System. Wer so viele Bälle in der Luft halten muss, hat oft keine Kapazitäten mehr für die alltägliche psychische Belastung, die durch Job, Familie oder Beziehung daherkommen.

Was bei dieser Belastung völlig auf der Strecke bleibt: Entspannung, Gelassenheit, Ruhe und damit der Raum für (persönliche) Weiterentwicklung und Wachstum. Wie man an der Geschichte meiner Klientin sehen kann, ist das durchaus auch im ganz klassisch körperlichen Sinne zu sehen (Schwangerschaft = Wachstum).

Der Einfluss von Tabus auf die körperliche Leistungsfähigkeit

Erstmal ganz klassisch, bevor ich noch ein bisschen tiefer einsteige: Erhöhter Stress führt zu einem erhöhten Cortisolspiegel. Cortisol ist der natürliche Gegenspieler von Melatonin, unserem Schlafhormon. Wenn der Cortisolspiegel so hoch ist, dass er durch die Melatoninausschüttung nicht mehr genügend verringert werden kann, führt das zu Schlafproblemen. Die Auswirkung ist sonnenklar: schlechter oder geringerer Schlaf vermindern die Leistungsfähigkeit wesentlich.
Außerdem führt ein erhöhter Stresspegel zu einer Schwächung des Immunsystems und damit zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit. Krank oder angeschlagen sind wir natürlich auch sehr viel weniger leistungsfähig. Die Kombination von beiden Auswirkungen ist der Supergau, denn wenn sich ein angeschlagenes System nicht mehr durch (guten) Schlaf regenerieren kann, dann gerät es in einen Teufelskreis, der alle Kraft- und Energiereserven angreift und auffrisst.

Was Tabuthemen mit unserer Ausdrucksfähigkeit machen

Jetzt wird es aber nochmal besonders spannend. Wenn du auf der Bühne stehst und auf deinen Körper, respektive deine Stimme, als Ausdrucksmittel angewiesen bist, dann haben Tabus nochmal eine ganz besonders ungünstige Auswirkung. Im Allgemeinen handelt es sich bei Tabus um Geschichten, Erfahrungen, Erlebnisse, die wir durch Schweigen in unserem System und in ihrem Versteck halten. Wenn du schon einmal versucht hast, aufkommende Tränen zu unterdrücken, dann weißt du, wie viel Spannung dadurch entsteht und wie viel körperliche (und emotionale) Kompensation du aufwenden musst, dass dir das tatsächlich gelingt.
Ungefähr so ist es auch, wenn du versuchst, ein Tabu für dich zu behalten. Es ist nicht so punktuell auf einen Moment bezogen, aber eine Spannung, die sich über Wochen, Monate oder sogar Jahre aufbaut. Daran ist deine Kehle, dein Hals, dein Mundboden, deine Zunge, dein Kiefer und auch deine Schulter- und Nackenmuskulatur beteiligt. Diese ganzen Strukturen stehen wiederum in enger Verbindung mit dem Zwerchfell und damit auch mit Herz, Lunge und den anderen Organen, die direkt am Zwerchfell anliegen.
All diese Strukturen sind an unserem authentischen und individuellen Ausdruck beteiligt. Wenn du dich vor allem über die Stimme ausdrückst, dann ist das ganz direkt der Fall. Wenn du ein Instrument dazwischen hast, dann brauchst du trotzdem den Atem und die Flexibilität deines Körpers, um richtig in den (auch emotionalen) Ausdruck zu kommen.
Stehen all diese Strukturen unter erhöhter Spannung, dann ist das spürbar. Und hörbar! Es führt auch dazu, dass du auf die korrekte und volle Funktion dieser Strukturen nicht richtig zugreifen kannst.
Deshalb funktioniert meine Methode. Weil durch die Auseinandersetzung mit diesen gehaltenen Tabus (und Verletzungen) Spannung abgebaut wird. Dadurch wird sowohl Energie und Kraft als auch authentische Ausdrucksfähigkeit frei.

Tabus wirken auch über Spiegelneuronen

Jetzt wird es richtig crazy. Und wir sind hier jetzt (vermutlich) aus dem bisher erforschten Gebiet raus. (Waren wir wahrscheinlich im letzten Absatz schon). Ich spreche hier jetzt über meine Erfahrungswerte, die allerdings so deutlich sind, dass ich sie trotzdem gerne weitergeben möchte:
Wir können auch spüren, wenn andere Menschen im Raum ein Tabu bei sich verstecken. Denn ein System, das ein Tabu versteckt, hat immer ein aktiviertes Nervensystem. Das ist (vorausgesetzt, du hast ein relativ reguliertes Nervensystem) für dich sehr schnell spürbar. Außerdem sind in diesem System immer Doublebinds aktiv. Doublebinds sind Situationen, in denen es zwei (oder mehrere) Möglichkeiten gibt, die aber alle scheiße sind. Nichtstun ist keine Option.
Bei Tabuthemen gibt es zum Beispiel immer diesen einen Doublebind: Ich traue mich nicht, über dieses Thema zu sprechen, weil ich Angst habe, ausgelacht, abgelehnt oder abgewertet zu werden oder auch jemand anderen damit zu verletzen. Gleichzeitig kostet es mich so viel Kraft und Energie, dieses Thema für mich zu behalten. Da hier weder Kampf (aussprechen) noch Flucht (vergessen) möglich ist, reagiert das System mit Starre / Dissoziation. Das ist von außen körperlich spürbar. Wie genau, das würde hier jetzt zu weit führen, aber wenn du da tiefer einsteigen willst, kannst du dir gerne ein Kennenlernen mit mir vereinbaren.

Tabus beeinflussen das ganze Handeln

Wenn jemand ein Tabuthema mit sicher herumträgt, dann fließt – wie oben schon beschrieben – sehr viel der Energie ins Verstecken und in die Vermeidung dieser Thematik. Das bedeutet, dass auch im Außen Berührungspunkte mit diesem Thema vermieden werden. Das beeinflusst logischerweise Dinge wie: Welche Gespräche führe ich mit wem worüber? Welche Filme schaue ich mir an? Vermeide ich Zeitungen / Nachrichten / Social Media?
Das Blöde an der ganzen Geschichte: eine versteckte Geschichte will gesehen werden. Und damit drängt sich auf unterschiedlichste Arten an die Oberfläche. Nicht selten passiert es Menschen, die ein Tabu mit sich herumtragen, dass sie ständig (aus nicht nachvollziehbaren Gründen) im Außen damit konfrontiert werden. Es passieren Zufälle, die eigentlich keine sind. Doch so wird der Handlungsspielraum dieses Menschen immer geringer. Denn an jeder Ecke lauert die Gefahr, dass das Tabu aufgedeckt werden könnte.
Außerdem bringt dieses ständige „zufällige“ Konfrontation mit dem Thema ja noch mehr Scham, Schuldgefühle und Schmerz mit sich. Also noch mehr Gefühle, die unterdrückt und in Schach gehalten werden müssen. Das Leben mit einem Tabu kann also zu einem regelrechten Spießrutenlauf werden.

Um in unserer vollen Leistungsfähigkeit zu sein, ist es wichtig, dass wir möglichst wenig Zeit mit Kompensation verbringen. Je mehr wir einfach SEIN können, umso mehr Kraft und Energie haben wir zur Verfügung, um unser Potential zu entfalten.

Sprich über deine Tabuthemen

Du musst ja nicht gleich einen Blogartikel schreiben oder auf Social Media darüber sprechen (so wie ich das mache), aber es ist wichtig, dass du anfängst, über dein(e) Tabu(s) zu sprechen. Wichtig ist nur, dass du dir einen Menschen suchst, wo du davon ausgehen kannst, dass sie oder er dir wohlwollend und wertschätzend zuhört und jegliche Bewertung außen vor bleibt. Falls du diese Menschen in deinem Umfeld nicht hast, schreib mir gerne eine Nachricht.

Nur ein kleiner Hinweis noch am Schluss: wir unterteilen gerne in schlimme oder nicht so schlimme Tabuthemen. Für die Betroffenen ist das eigene Tabu immer das schlimmste, denn dort, wo die Betroffenheit ist, sind auch die ganzen Symptome. Falls du dich also dabei ertappst, dass du dir denkst: „Anderen geht es sicher viel schlimmer…“ – Ja, das kann sein, aber wenn dein Tabuthema DICH beeinflusst, solltest du dich darum kümmern und nicht um die Themen der anderen.

Wenn du Mut schöpfen willst, kannst du dir auch die Beiträge durchlesen, die bisher in meiner Blogparade erschienen sind:

Generose Sehr

Sängerin und Spezialistin für den emotionalen Deep Shit

Ich brenne dafür, Menschen dabei zu unterstützen ihren ureigenen Weg zu finden und echtes Selbst-Bewusst-Sein zu entwickeln – abseits von Gesellschaftsmustern, familiären Prägungen und „das macht man halt so“. Mein Herz schlägt für Visionär*innen und Menschen, die das Gefühl haben, in unserer Gesellschaft fehl am Platz zu sein.
Ich selbst bin Entwicklungsjunkie und süchtig nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen. Das hat dazu geführt, dass ich nach meinem Studium in Gesangspädagogik noch eine Ausbildung in Craniosaraler Körperarbeit und den Epigenetik Coach angehängt habe und da stehen noch ein paar mehr Dinge auf meiner Liste.
Ich schreibe hier über transgenerationale Vererbung, frühkindliche und pränatale Prägungen und wie sich das auf unser Leben auswirkt. Außerdem erzähle ich gerne meine eigenen Geschichten (oder die meiner Klient*innen), um zu zeigen, wie wir den alltäglichen Herausforderungen des Lebens begegnen können.

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