Vor genau einer Woche saß ich hier und hab ein Plädoyer für die Verbindlichkeit vom Stapel gelassen – getriggert von vielen Beobachtungen und Erlebnissen der letzten Monate.
Mal abgesehen davon, dass ich daraus auch einen provokativen Post auf Social Media gemacht habe, der vor allem auf LinkedIn spannende Kommentare gebracht hat (kleiner Trigger-Alarm für mich ;-)), ist mir klar geworden, dass dieses Thema noch viel größer ist, als ich es letzte Woche auf dem Schirm hatte.
Schon kurz nachdem der Artikel draußen war, zeigte sich, dass es da in vielen Menschen offenbar einen inneren Konflikt zum Thema Verbindlichkeit versus Bedürfnisse gibt. Und so entsteht hier nun ein zweiter Teil, in dem ich mich so differenziert es mir möglich ist, mit dieser Thematik auseinandersetze.
Versprochen ist versprochen…
… und wird auch nicht gebrochen.
Ein Spruch, an den ich mich aus meiner Kindheit sehr gut erinnere. Im Zuge meiner Scheidung bin ich ihm wieder begegnet und habe eine sehr neue Sichtweise darauf gewonnen.
Genau genommen sind wir hier schon beim Kern der Sache angekommen. Ich habe etwas versprochen und merke irgendwann, dass dieses Versprechen nicht mehr mit meinen eigenen Bedürfnissen übereinstimmt.
Was jetzt passiert: ich bin in einem klassischen Double-Bind.
Entweder breche ich mein Versprechen (verletze den anderen Menschen) oder ich ignoriere meine Bedürfnisse (verletze mich selbst).
Zwei Lösungen, die beide scheiße sind.
Die Konsequenz in vielen Fällen: totstellen, vergraben, nichts tun.
Das ist jetzt natürlich ein ziemlich starkes Beispiel, das uns im Alltag so (hoffentlich) nicht allzu oft begegnen wird.
Aber wenn wir es mal herunterbrechen auf unsere normalen Alltagssituationen, dann könnten es folgende unterschiedliche Beispiele sein:
Beispiel 1:
Ich hab Freunde zum Abendessen eingeladen, merke aber, dass es mir nicht gut geht (Kopfweh, Müdigkeit oder was auch immer).
Meine beiden Optionen: Absagen oder Augen zu und durch.
Hier steht noch relativ klar Verbindlichkeit versus Bedürfnisse.
Beispiel 2:
Ich habe meinem Kind einen Ausflug versprochen und bin aber mit einer wichtigen Aufgabe für Kunden in meinem Business nicht fertig geworden.
Meine beiden Optionen: das Kind vertrösten respektive den Ausflug absagen oder die Kunden vertrösten bzw.
Hier ist es schon nicht mehr so klar: wo ist mein eigenes Bedürfnis in dieser Geschichte? Verbindlichkeiten gibt es gegenüber beiden Seiten.
Beispiel 3:
Immer Dienstags habe ich mein Sport-Date mit mir selbst. Das ist mir heilig. Ich verteidige es gegen alle anderen Termine. Nur gerade heute bin ich so unglaublich müde, dass ich lieber auf der Couch liegen bleiben würde.
Meine beiden Optionen: ich geh zum Sport und ignoriere meine Müdigkeit oder ich geb der Müdigkeit nach und verpasse mein Sport-Date
Ein Konflikt zwischen Verbindlichkeit und Bedürfnis in mir selbst.
Aus meiner Sicht gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, diese Situationen auf eine gute Art und Weise zu lösen.
Scheuklappen auf – die Suche nach den unendlichen Möglichkeiten
Vielleicht hast du dir beim Lesen dieser Beispiele schon insgeheim gedacht: naja, es gibt ja nicht nur die zwei Möglichkeiten. Man könnte doch auch…
Ganz genau. Das zeigt, dass du gerade offensichtlich nicht in diesem emotionalen Konflikt bist und dadurch deinen Weitblick behalten hast.
Das erste, was nämlich in emotionalen Konflikten verloren geht, ist Objektivität und Weitblick und damit auch die Kreativität für neue Möglichkeiten und andere Lösungen.
Deshalb: erstmal durchatmen und dann die Scheuklappen aufmachen.
Welche anderen Wege könnte es geben, mit der Situation umzugehen?
Bei Beispiel 3 könnte ich zum Beispiel zum Sport gehen und einfach schauen, wie es mir geht. Bin ich dann immer noch müde, dann geh ich halt nach 10 min wieder nach Hause. Oder ich mach einfach langsam und merke vielleicht, dass es mir gut tut und ich danach entspannter bin als nach einem Abend auf der Couch.
Ich könnte auch meiner Müdigkeit nachgeben und mein Sport-Date auf einen anderen Abend verschieben.
Und… und… und…
Vielleicht hast du Lust, dir für die Beispiele mal ein paar Möglichkeiten auszudenken.
Rechtzeitig zu den eigenen Bedürfnissen stehen
Wenn du mal ganz ehrlich bist: wie oft ist es dir schon so gegangen, dass du auf etwas keine Lust hattest, aber aus Höflichkeit, aus Gewohnheit oder um einen Konflikt zu vermeiden, doch zugesagt hast?
Oder aus der Angst heraus, nein zu sagen und damit vielleicht jemanden zu kränken?
Daraus entstehen dann die Sätze:
“Ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe, aber vielleicht schau ich noch vorbei.”
Hier sind wir bereits eingestiegen in das Spiel der Muster und Prägungen.
“Was denken denn die anderen? Ich kann doch nicht schon wieder absagen!”
“Das ist doch unhöflich, wenn ich absage!”
“Ich will sie / ihn ja nicht kränken.”
Das sind klassische Gedanken, mit denen wir höchstwahrscheinlich auf dem besten Weg sind, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren und eine Verbindlichkeit einzugehen, die wir hätten vermeiden können.
Dann ist der Konflikt aber nicht “Verbindlichkeit versus Bedürfnis” sondern “altes Muster versus Bedürfnis”.
Alte Muster und Bedürfnisse
Bei vielen Menschen jedoch liegt schon ein altes Muster auf den Bedürfnissen an sich. Das kann so aussehen, dass generell die eigenen Bedürfnisse keine Rolle spielen, weil das in der Familie oder im Umfeld als egoistisch bezeichnet wird.
Oder dass die Verbindung zum eigenen Körper und damit zu den eigenen Bedürfnissen insgesamt nicht so gut ist, weil zu viele herausfordernde / traumatische Erlebnisse in der Kindheit waren und dadurch die Innenwahrnehmung abgedreht oder runtergeregelt wurde.
Ein weit verbreitetes Phänomen ist auch, die eigenen Bedürfnisse zwar wahrzunehmen, sie aber nicht ernstzunehmen.
Der Sehnsucht-Bedürfnis-Konflikt
Oder aber es existiert ein innere Konflikt zwischen Sehnsucht und Bedürfnis.
Nachdem es jetzt sehr abstrakt wird, komm ich hier nochmal auf meine eigene Geschichte zurück.
Aus heutiger Sicht hätte ich die Scheidung vermeiden können. Ich hätte nämlich gar nicht erst geheiratet. Aber das war ein klassischer Fall von Sehnsucht versus Bedürfnis.
Ich wollte endlich angekommen sein. Ich hatte so eine Sehnsucht nach einem Hafen, nach Geborgenheit, nach Sicherheit in mir, dass ich alle Anzeichen für Schwierigkeit und Konflikte, die es vorher schon gab, ignoriert habe.
Ich hab mir eingeredet, dass sich schon noch alles ändern würde.
Im Endeffekt war ich nicht ehrlich zu mir. Ich habe mein starkes Bedürfnis nach Veränderung in dieser Beziehung zugunsten meiner Sehnsucht ignoriert.
Mit diesen Voraussetzungen bin ich in die Ehe gestartet, um dann nach einigen Jahren festzustellen, dass sich nichts ändern würde und dass es mich kaputt machen würde, weiter in dieser Beziehung zu bleiben.
Aus heutiger Sicht kann ich das natürlich alles ganz klar sehen.
Hätte ich damals wirklich anders handeln können? Wohl nicht – sonst hätte ich es getan.
Warum steige ich dann hier überhaupt so tief in das Thema ein?
Weil ich immer die Hintergründe beleuchte und weil ich Bewusstsein dafür schaffen will, dass das, was wir an der Oberfläche als Ursache oder Thema sehen (Verbindlichkeit versus Bedürfnis) nicht unbedingt das ist, was hier wirklich los ist.
Ein paar Fragen zum Nachdenken
Ich möchte dich dazu einladen, zu reflektieren, wie es um deine eigenen Bedürfnisse steht.
- Nimmst du sie wahr?
- Wenn ja, stehst du zu ihnen?
- Artikulierst du sie?
- Hast du irgendwelche alten Muster entdeckt, die dir da im Weg stehen?
- Wie ehrlich bist du gegenüber dir selbst in Bezug auf deine Sehnsüchte?‘
- Wo ignorierst du sie?
- Wo stellst du sie über andere Bedürfnisse?
Ich weiß, diese Fragen lassen sich nicht mal eben so beantworten. Aber ich bin mir sicher, du spürst, wenn es da für dich was zu holen gibt.
Falls du Lust hast, da tiefer einzusteigen, dann meld dich gerne bei mir. Hier kannst du dir ein kostenloses Kennenlern-Gespräch vereinbaren.
Kommunikation ist Queen
Zum Schluss möchte ich dir noch meinen persönlichen Lieblingsweg vorstellen, der so gut wie immer eine Lösung parat hält:
Klare, offene und ehrliche Kommunikation.
Zugegeben, er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit der Suche nach den unzähligen Möglichkeiten, die ich am Anfang hier vorgestellt habe, aber der große Unterschied ist, dass dieser Weg in Kommunikation mit anderen passiert.
Ich nehm das Beispiel 1, du erinnerst dich: Abendessen mit Freunden und mir gehts nicht so gut.
Was würde passieren, wenn ich damit in die offene und ehrliche Kommunikation gehe?
Es könnte zum Beispiel sein, dass ich meine Freunde informiere und bitte, ob sie eine Stunde später kommen können, dann kann ich mich noch hinlegen und vielleicht gehts mir dann besser.
Oder ich kann sie fragen, ob wir das Essen auf einen anderen Termin verschieben können.
Vielleicht hab ich ja selber Lust auf dieses Treffen und Essen und kann auch ganz offen mit meinem Zustand sein und sie bitten, mich in den Vorbereitungen zu unterstützen oder ankündigen, dass ich mich vielleicht zwischendurch kurz hinlegen werde.
Auch hier: es gibt zig Möglichkeiten.
Durch die Kommunikation können neue Ideen und Wege entstehen.
Kommunikation als Weg zu einem neuen Miteinander
Kommunikation ist vor allem auch dann DAS Mittel der Wahl, wenn ich aus vollster Überzeugung und im Einklang mit meinen Bedürfnissen eine Verbindlichkeit eingegangen bin und in der Situation merke, dass sich da bei mir etwas ändert.
Anstatt auszuhalten oder kurz vorher abzusagen, kann ich nämlich auch hier in die Kommunikation gehen, mein Gefühl, meine Sorgen, Bedenken oder Zustände mitteilen und gemeinsam eine Lösung suchen.
Natürlich besteht da die Gefahr, dass verschiedene Bedürfnisse aufeinander treffen oder dass ich mit meiner Offenheit bei meinem Gegenüber etwas triggere. (Genau das ist meistens der Grund, warum wir diesen Weg vermeiden.)
Doch hier beginnt für mich ein völlig neues Feld von Begegnung und Verbindung.
Ich weiß nicht, ob du schon mal erlebt hast, wie heilsam, verbindend und entspannend es ist, wenn du mit Menschen zusammen bist, die ihre eigenen Bedürfnisse kennen und artikulieren und GLEICHZEITIG dich in deinen Bedürfnissen sehen und akzeptieren?
Von diesem Standpunkt aus kann Verhandlung stattfinden und in vielen Fällen gibt es eine Lösung, mit der alle zufrieden sind.
Wenn das nicht gelingt, dann hat zumindest offene und ehrliche Kommunikation stattgefunden. Selbst wenn das bedeutet, dass eine Verabredung platzt oder ein Treffen früher beendet wird: diese Art der Auseinandersetzung hinterlässt zumindest kein Gefühl von Unverbindlichkeit und Unverlässlichkeit.
Vielleicht kommt dir noch das Argument in den Sinn, dass du sehr wenige Menschen kennst, die zu ihren eigenen Bedürfnissen stehen und dich gleichzeitig in deinen wahrnehmen können.
Ja, das stimmt, das ist selten. Aber es kann nur mehr werden, wenn wir endlich damit anfangen, diese Art der Kommunikation zu praktizieren.
Deshalb: mach den ersten Schritt. Geh voraus und nimm die Menschen in deinem Umfeld mit. Ja, vielleicht ist es komisch am Anfang, doch über kurz oder lang ist es der Weg zu einem völlig neuen Miteinander.
Und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass deine inneren “Verbindlichkeit versus Bedürfnis – Konflikte” rapide abnehmen werden.
Hast du weiterführende Gedanken oder Fragen zu dem Thema? Hinterlass mir gern einen Kommentar.
Generose Sehr
Sängerin und Spezialistin für den emotionalen Deep Shit
Ich brenne dafür, Menschen dabei zu unterstützen ihren ureigenen Weg zu finden und echtes Selbst-Bewusst-Sein zu entwickeln – abseits von Gesellschaftsmustern, familiären Prägungen und „das macht man halt so“. Mein Herz schlägt für Visionär*innen und Menschen, die das Gefühl haben, in unserer Gesellschaft fehl am Platz zu sein.
Ich selbst bin Entwicklungsjunkie und süchtig nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen. Das hat dazu geführt, dass ich nach meinem Studium in Gesangspädagogik noch eine Ausbildung in Craniosaraler Körperarbeit und den Epigenetik Coach angehängt habe und da stehen noch ein paar mehr Dinge auf meiner Liste.
Ich schreibe hier über transgenerationale Vererbung, frühkindliche und pränatale Prägungen und wie sich das auf unser Leben auswirkt. Außerdem erzähle ich gerne meine eigenen Geschichten (oder die meiner Klient*innen), um zu zeigen, wie wir den alltäglichen Herausforderungen des Lebens begegnen können.