Wie kommt es, dass wir immer das Bedürfnis haben, mit anderen einer Meinung zu sein?

Erinner dich zurück an eine Diskussion bei der anschließend abgestimmt wurde.  Am besten eine, in die du emotional involviert warst.  Verstohlene Blicke wandern durch den Raum auf der Suche nach Verbündeten. 

Die größte Angst: mit der eigenen Meinung alleine dazustehen. 

Je aufgeheizter die Stimmung, umso stärker fühlst du dich mit den Menschen verbunden, die auch deiner Ansicht sind. 

Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.

Mark Twain

Viele “Freundschaften” unter Kolleg:innen entstehen, weil sich ein paar Menschen in ihrer Haltung (oft gegen einen oder mehrere andere) verbünden und sich darin unterstützen und bestärken. 

“Meinungsverschiedenheiten” führen in Beziehungen oft zu Streit und nicht selten zur Trennung. 

Aber warum ist das so? Hast du darüber schonmal nachgedacht?

Ich denke in den letzten Wochen und Monaten ständig darüber nach – warum, muss ich wohl nicht näher ausführen. 

Ein paar dieser Gedanken teil ich hier mit dir und bin gespannt, was sie mit dir machen.  

Aber zuerst muss ich noch was ganz deutlich sagen:

Wenn ich hier von Meinung spreche, dann meine ich immer respektvolle und wertschätzende Aussagen und nicht beleidigende, verhetzende oder abwertende Ansichten. 

Gedanke 1: Der Mensch braucht Sicherheit, um leben zu können

Sicherheit ist meiner Ansicht nach unser oberstes Grundbedürfnis. Mit dem Gefühl von Sicherheit ist der Grundstein für ein erfülltes Leben gelegt. 

Wenn wir uns sicher fühlen…

  • dann ist Verbindung und Beziehung möglich. 
  • dann können wir uns gefahrlos zeigen und ausdrücken.
  • dann können wir uns entwickeln und wachsen (weil wir den Mut haben, einen Schritt ins Unbekannte zu wagen). 
  • dann sind wir gesund (weil wir nicht im Fight-or-Flight-Modus sind, so der Parasympathikus aktiviert wird und damit die Reparatur- und Heilungsprozesse in unserem Körper funktionieren).

Aber was ist Sicherheit und wie bekommt man die?

Sicherheit ist ein äußerer Zustand, den wir nicht beeinflussen können. 

UND

Sicherheit ist ein innerer Zustand, auf den wir aber nur im jetzigen Moment Einfluss haben. 

Jetzt konkret:

Ich kann nicht beeinflussen, ob mir, wenn ich aus dem Haus gehe, ein Dachziegel auf den Kopf fällt. 

Aber ich kann beeinflussen, ob ich mich jetzt im Moment sicher fühle.

Eine einfach Übung für mehr Sicherheitsgefühl in dir:

  1. Sei präsent im Hier und Jetzt.
    Schaust du gerade mit erwachsenen und präsenten Augen auf die Situation oder hängst du in einem alten Anteil mit den Gefühlen eines vergangenen Erlebnisses fest? Falls ja: mach dir klar, dass das Vergangenheit ist. 
  2. Frag dich: ist es jetzt im Moment gerade sicher hier?
    Orientiere dich im Raum, nimm Blickkontakt auf mit den Gegenständen und den Menschen, die da sind. Sei unbedingt ganz ehrlich mit dir selbst. 
  3. In 99,9% aller Fälle wirst du diese Frage mit “Ja” beantworten können.
    Dann geh bewusst in Verbindung mit allem, was da ist. (Falls nicht und es gerade wirklich gefährlich ist: handle entsprechend – jetzt ist Fight or Flight angebracht!!) 
  4. Spüre, wie dein Nervensystem sich nach ein paar Sekunden beruhigt.
    Oft kommt intuitiv ein Atemzug oder eine Entspannung in den Schultern oder sonstigen Muskeln im Körper.

Echte Sicherheit existiert immer nur genau JETZT. 

Wenn du diese Übung aber oft genug gemacht hast (und ich mein WIRKLICH OFT!!), dann stellt sich in deinem Körper ein Grundsicherheits-Gefühl ein. 

Das fehlt übrigens den allermeisten Menschen komplett.  

Warum das so ist, das schreib ich mal in einem extra Blog-Artikel.

Falls du dich fragst, was das denn jetzt mit dem eigentlichen Thema zu tun hat: darauf komm ich jetzt. 

Unsere Lieblings-Kompensations-Strategien:

Wenn dieses Grundsicherheits-Gefühl in uns nicht vorhanden ist, dann gibt es alle möglichen Kompensations-Strategien, die wir im Außen anwenden, um Sicherheit in unser Leben zu bringen. 

Was alle Kompensations-Strategien gemeinsam haben: sie kosten unglaublich viel Kraft und Aufwand und sie funktionieren nur bis zu einem gewissen Punkt. 

Dann kommt wieder das Gefühl von Unsicherheit durch. 

Ein paar Möglichkeiten für Strategien sind:

  • Das eigene Leben möglichst voraussehbar gestalten. Überraschungen sind unerwünscht. Je mehr Plan, umso besser.
  • Der Wunsch, immer alles unter Kontrolle zu haben. Das geht im Extremfall so weit, andere Menschen zu bitten, ihr Verhalten anzupassen, um besser damit umgehen zu können. 
  • Sich nie ganz auf eine Situation einlassen. Eine Hintertür bleibt immer offen. Egal ob in der Beziehung oder im Business. 

Und:

  • Sich mit mit Menschen umgeben, die der gleichen Meinung sind. Wir assoziieren damit, dass wir nichts zu befürchten haben.

Schauen wir noch ein Stückchen tiefer:

Warum fühlt es sich wie Angriff und Gefahr an, wenn jemand anderer Meinung ist?

Die Meinung entspringt oft unseren Werten. Und über ihre Werte definieren sich die meisten Menschen. 

Wenn also jemand unsere Meinung kritisiert (weil er oder sie vielleicht gegensätzlicher Ansicht ist), dann empfinden wir das oft als Angriff auf unser Innerstes. 

Eine uns alle vereinende Ur-Sehnsucht ist das Bedürfnis gesehen, gehört und verstanden zu werden

Wir assoziieren damit, dass wir angenommen werden. 

Angenommen sein => Geborgenheit.

Geborgenheit => Sicherheit. 

Und so schließt sich der Kreis: 

  • Wir umgeben uns mit Menschen, die der gleichen Meinung sind, weil wir damit das Gefühl haben, gesehen, gehört und verstanden zu werden. Und das wiederum gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. 

Wenn du die gesellschaftliche Lage der letzten zwei Jahre anschaust, dann ist äußere Sicherheit absolut Mangelware

Kein Mensch kann mehr die Illusion aufrecht erhalten, das Leben unter Kontrolle zu haben, dafür ist die Lage viel zu unsicher und instabil. 

Der letzte Anker, der noch funktioniert: sich mit Menschen, die der gleichen Meinung sind, verbinden und eine Gemeinschaft bilden, die ein Gefühl von Sicherheit gibt. 

Die leider häufigste Nebenwirkung ist, dass Gruppen oder Menschen mit anderer Meinung als Gefahr für die eigene Sicherheit empfunden werden. 

Das Ergebnis: Abwertung, Ausgrenzung, Schuldzuweisungen, Respektlosigkeit

Gedanke 2: Es gibt nicht DIE EINE Wahrheit

Angenommen, du reflektierst viel – was ich fast annehme, wenn du auf meinem Blog gelandet bist – dann kennst du sicher dieses Gefühl, auf der Suche nach der allumfassenden Wahrheit zu sein. 

Diese EINE Wahrheit, die uns alle verbindet und die es gilt, endlich zu entdecken und gemeinsam zu leben. 

Vor einiger Zeit bin ich über eine Geschichte gestolpert: 

“Wo die Götter die Wahrheit versteckten” (aus „Mandalas – Kraft für Geist und Seele“ von Marlies & Klaus Holitzka)

In ihr wird beschrieben, dass die Götter bei der Erschaffung der Welt ganz zum Schluss die Wahrheit erschufen. 

“Doch keinem von ihnen fiel ein Ort ein, wo sie diesen kostbarsten aller Schätze so sicher verbergen konnten, dass die Menschen ihn suchen mussten.”

Nach langem Hin und Her beschlossen sie, jeweils ein kleines Stück der Wahrheit in das Herz eines jeden Menschen zu setzen. 

Falls du die ganze Geschichte hören magst, schau mal hier.

Ich liebe diese Geschichte. Sie zeigt so deutlich auf, was das große Problem in unserer Gesellschaft ist. 

Jede:r ist davon überzeugt, die Wahrheit zu kennen und versucht, die anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen. 

“Gegner glauben uns zu widerlegen, indem sie ihre Meinung wiederholen und auf die unsre nicht achten.”

Johann Wolfgang von Goethe

Der Knackpunkt an der Sache: jede:r kennt die EIGENE Wahrheit, aber nicht die der anderen. 

Meine Überzeugung begründet sich übrigens nicht auf dieser einen Götter-Geschichte. 

Vielmehr entspringt sie dem Bewusstsein über unsere Einzigartigkeit

Kein Mensch gleicht zur Gänze dem anderen. Selbst eineiige Zwillinge sind zwar genetisch ident, weisen aber im Epigenom enorme Unterschiede auf. (Ich schreib ganz bald einen Blog-Artikel über Epigenetik, ich versprechs!)

Nehmen wir dann noch die Erfahrungen, die wir im Lauf unseres Lebens machen und die unsere Wahrnehmung der Welt maßgeblich beeinflussen, dann wird (zumindest in meiner Logik) klar, dass wir nicht alle die gleiche Wahrheit haben können. 

Denn wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind. 

Welche neue Welt würde sich wohl für uns eröffnen, wenn wir nicht mit Ablehnung sondern mit Neugier und Offenheit diesen vielen Millionen Wahrheiten entgegentreten würden?

Konstruktive Gedanken zum Schluss:

Mir ist es zwar ein Anliegen, Prozesse und Phänomene zu verstehen, aber das reine Verständnis ändert meist nicht viel.

Deshalb hier ein paar Ideen meinerseits, wie du wieder zu Verbindung mit anderen TROTZ unterschiedlicher Meinungen finden kannst.

Kommuniziere lieber in Gefühlen als in Fakten

Es gibt keine neutralen Fakten. Je nachdem, wie emotional du in ein Thema verstrickt bist, interpretierst und bewertest du die vorhanden Fakten.

Anstatt dich über vermeintliche Fakten auszutauschen hier mein Vorschlag:

Frag doch dein Gegenüber: 

  • Wie geht es dir?
  • Was beschäftigt dich gerade?
  • Wie fühlst du dich damit?

Hör genau zu und versuch auf Gefühlsebene nachzuvollziehen, wo die andere Person gerade steht – auch wenn du an einem komplett anderen Punkt stehst.

Mach dich auf die Suche nach Gemeinsamkeiten in euren Gefühlen. 

Vielleicht seid ihr gerade beide traurig. Dann verbindet euch das Gefühl der Trauer. 

Vielleicht hattet ihr beide gerade einen Erfolg (der völlig unterschiedlich sein kann), dann könnt ihr gemeinsam feiern.

Nutze den Trigger

Macht dich eine Aussage wütend? Fühlst du dich angegriffen? Löst die Aussage Angst in dir aus?

Hier kommt eine unangenehme Tatsache: Das hat mehr mit dir zu tun, als mit der Aussage oder dem Menschen, der sie gemacht hat. 

Mein Vorschlag dafür:

Nutze den Trigger und schau dir deine eigenen Baustellen an. 

  • Was genau regt dich auf?
  • Warum fühlst du dich angegriffen?
  • Was an dieser Aussage macht dir Angst?
  • Woher kennst du dieses Gefühl?
  • Mit welcher Person aus deiner Vergangenheit verbindest du dieses Gefühl?

Der Mensch mit einer anderen Meinung ist einfach nur ein Mensch mit einer anderen Meinung. 

Dein eigenes Bewertungssystem (das von deinen vergangenen Erfahrungen geprägt ist) entscheidet, ob du das als Angriff, als Gefahr oder als Abwertung empfindest. 

Wenn du deine alten Verletzungen geheilt hast, wird es dir viel leichter fallen, die anderen Menschen mit ihren anderen Sichtweisen zu akzeptieren und sein zu lassen.

Kümmere dich um deine innere Sicherheit

Der Bogen zum Anfang schließt sich.

Sorge dafür, dass du dich innerlich sicher fühlst und dass du ganz präsent im Hier und Jetzt bist. 

Du wirst sehen, dann ist es möglich in echter und tiefer Verbindung mit deinen Mitmenschen zu sein. Dann kannst du dich auf dein Gegenüber wirklich einlassen. 

Dann kannst du dein Gegenüber sehen und fühlen. Auch mit einer komplett anderen Meinung. 

Und vielleicht entdeckst du ein klitzekleines Teilchen von seiner oder ihrer Wahrheit auch in dir.

Brauchst du Unterstützung?

Leidest du sehr unter der momentanen Situation?

Oder fällt es dir schwer, gegenüber anderen zu deiner eigenen Meinung zu stehen?

Fühlst du dich nie so richtig sicher?

Ich kenn das! Und ich weiß, es gibt (mindestens) einen Weg zu mehr innerer Sicherheit, Stabilität und Stärke.

Trau dich und schreib mir einfach.

Das erste Gespräch ist völlig unverbindlich und kostenfrei und wird dir ganz sicher schon einige Erkenntnisse bringen.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner