Tabus sind eine höchst ambivalente Angelegenheit. In unserer Gesellschaft gibt es zig Tabuthemen, über die (naturgemäß) nicht gesprochen wird. Denn davon lebt ein Tabu. Es wird totgeschwiegen, ignoriert, unterdrückt, verleugnet, unter den Teppich gekehrt. Für meinen heutigen Blogartikel habe ich mir das Tabuthema (Fehl-)Geburt ausgesucht, weil ich damit meine eigenen Erfahrungen gemacht habe. Es ist immer leicht(er) über Tabus zu sprechen, die einen selbst nicht betreffen, aber es ist aus meiner Erfahrung wesentlich wirkungsvoller, aus dem eigenen Erleben zu berichten.
Mit Tabus beschäftige ich mich nun schon seit einigen Jahren. Mit meinen Klient:innen stoße ich ständig auf verschwiegene Geschichten, geheim gehaltene Familien-Situationen und Erlebnisse, die sie aus Scham oder Angst noch nie jemandem anvertraut haben. Genau das sind die gefährlichen Begleiterscheinungen von Tabus: Scham, Angst, Schuldgefühle und in manchen Fällen auch Einsamkeit. Die Erfahrung zeigt: ein Tabu, das ausgesprochen und mit anderen geteilt wird, verliert seine Macht und damit seinen Schrecken. In den allermeisten Fällen schafft es sogar Verbindung mit anderen Betroffenen.

Deshalb veranstalte ich in diesem August eine Blogparade. Unter dem Motto: „TABU-Talk: Über dieses Thema möchte ich endlich offen reden!“ lade ich dich herzlich dazu ein, einen Beitrag zur Enttabuisierung zu leisten und über (d)eine Tabu-Geschichte zu schreiben. Wenn du auf den verlinkten Blogartikel klickst, kommst du direkt zu meinem Blogparaden-Aufruf. Dort erfährst du auch, wie du daran teilnehmen kannst. Ich freu mich, wenn wir gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, dass Verbindung und Miteinander die Scham und Angst der Tabu-Betroffenen ablösen.

Tabuthema Fehlgeburt

Im Frühjahr 2022 wurde ich zum ersten Mal schwanger. Am Tag vor dem Flug auf die Seychellen hatte ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Ich war unglaublich glücklich und aufgeregt. Doch dieses Kind entschied sich dazu, nicht zu bleiben. Ich weiß nicht, ob es die Strapazen der Reise waren, das unterwegs eingefangene Dengue Fieber oder schlichtweg eine Seele, die doch nicht außerhalb meines Bauches auf dieser Erde leben wollte.
Die gesamte Frühschwangerschaft hatte ich schon ein komisches Gefühl. Und mir war von Anfang an klar, dass Fehlgeburt eine Option ist. Ich entschied mich sehr bewusst dafür, trotzdem schon vor Ablauf der ersten drei Monate meine Schwangerschaft öffentlich zu machen. Wissend, dass ich auch öffentlich damit umgehen würde, wenn es denn zu einer Fehlgeburt käme.

Es war meine Art der Verarbeitung, dass ich mich im Moment des Schmerzes zeigte, Texte schrieb und mit Menschen in Verbindung ging. Der Post bei LinkedIn ging damals durch die Decke und ich war wochenlang damit beschäftigt, mich mit anderen betroffenen Frauen auszutauschen. Was mich damals wirklich erschreckt hat: viele dieser Frauen trugen diese Erlebnisse seit Jahren mit sich herum und hatten nie wirklich darüber gesprochen. Sie sprachen von dem Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben und daraus entstandenen Schuldgefühlen. Viele schämten sich dafür, dass sie nicht in der Lage waren, ein Kind auszutragen (vor allem, wenn sie im Endeffekt ungewollt kinderlos blieben). Was außerdem oft noch zu dieser sowieso schon herausfordernden Situation dazukommt: eine Kürettage (Ausschabung) zählt als kleiner operativer Eingriff und kommt im Allgemeinen mit einem oder zwei Tagen Krankschreibung aus. Doch diese kurze Zeit reicht bei weitem nicht für die Verarbeitung einer solchen Erfahrung.

Wie kann die Verarbeitung gelingen?

Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn in unserer Gesellschaft ist es nicht üblich, dass man über Fehlgeburten offen spricht. Es wird einem viel mehr eingetrichtert, dass man die erste „unsichere“ Zeit am besten noch niemanden über die Schwangerschaft informiert, denn dann muss man es nachher nicht allen erklären, wenn es doch schief gehen sollte. Versteh mich nicht falsch: es ist völlig ok, wenn eine Frau für sich entscheidet, dass sie mit ihrem Verlust lieber im intimen Familienkreise umgehen möchte. Doch aus meiner Sicht muss das eine bewusste Entscheidung sein und kein „das macht man so“. Denn genau hier fängt die Tabuisierung schon an.
Und damit auch die Schwierigkeit in der Verarbeitung. Denn wenn ich nicht darüber sprechen „darf“, dann kann ich auch nicht die nötige Zeit für die Verarbeitung bei meinem Arbeitgeber einfordern oder meine Freund:innen um emotionale Unterstützung bitten. Ich „muss“ alleine mit der Situation fertig werden und am besten nebenher völlig normal funktionieren.

Ich weiß, dass mein (öffentlicher) Weg der Verarbeitung nur für wenige passend ist. Doch es gibt einen Mittelweg zwischen Schweigen und öffentlichem Sprechen. Aus meiner Sicht braucht es mehr Aufklärung genau hier. Dass es schief gehen kann, das erzählt einem eh jeder, aber das ist aus meiner Sicht eher Angstmache. Wäre es nicht viel konstruktiver, wenn wir uns vorher überlegen: wie wollen wir mit den verschiedenen Situationen umgehen? Welche Unterstützung brauchen wir, um uns wohl zu fühlen? Natürlich kann man das oft im Vorhinein nicht sagen, doch alleine, sich damit zu befassen, löst schon so viel dieser ganzen Tabuisierung.

Offenheit schafft Verbindung

Statistisch gesehen kommt es bei jeder fünften Schwangerschaft zu einer Fehlgeburt. Vermutlich kennt also jede Frau eine andere Frau, die davon betroffen ist oder war. Was ich vor zwei Jahren festgestellt habe: je mehr die Frauen mit ihrer Erfahrung alleine waren, umso mehr haben sich Scham, Schuldgefühle und ein Gefühl von Unfähigkeit in ihnen eingenistet. Denn wer mit einer Erfahrung alleine ist, hat auch kein Korrektiv. Im Schmerz der Situation werden vom eigenen System Erklärungen gesucht und da diese meist im Außen nicht zu finden sind, werden sie im Innen und in der eigenen Person verortet. Doch das ist ein Trugschluss. Keine Frau, die sich verantwortungsbewusst in ihrer Schwangerschaft verhält, ist selbst schuld, falsch oder unfähig!
Es ist so wichtig, die betroffenen Frauen zu unterstützen und sie dabei zu begleiten, das Vertrauen in ihren Körper nicht zu verlieren bzw. es wieder zurückzubekommen. Denn das ist die Basis für den Rest des Lebens. Wenn das Verhältnis zum eigenen Körper zerrüttet ist, hat das weitreichende Konsequenzen auf Wohlbefinden, Gesundheit und natürlich auch weitere Schwangerschaften und Geburten.

Für mich gehört meine Fehlgeburt zu meiner Geschichte und ich lasse sie ganz normal in Gespräche einfließen. Manchmal spüre ich, dass mein Gegenüber damit überfordert ist und nicht weiß, wie er oder sie reagieren soll, doch genau das ist Teil der ganzen Tabu-Thematik. Auch das ist für viele ein Grund, warum sie nicht offen darüber sprechen wollen. Denn die unbeholfene Reaktion eines Gegenüber kann natürlich wieder Zweifel, Unsicherheiten, Scham und Schuldgefühle triggern.
Genau deshalb gehört dieses Thema öfter auf den Tisch. Denn auch die Reaktionen werden sich im Lauf der Zeit verändern, wenn es normal wird, dass wir Frauen (und natürlich auch die betroffenen Väter) darüber sprechen.

Tabuthema Geburt

Geburt ist doch wohl kein Tabuthema wirst du jetzt denken. Oh doch!! Die Geburt an sich vielleicht nicht. Wenn sie „normal“ war. Doch so ungefähr alles, was dazwischen oder außerhalb von „normal“ passiert. Über dieses Thema könnte ich vermutlich alleine drei Blogartikel schreiben, doch ich werde jetzt einen Aspekt rausgreifen, den ich vor allem in der (spirituellen) Persönlichkeitsentwicklungs-Szene beobachte.

Ich habe mir eine natürliche und interventionsfreie Geburt gewünscht. Von ganzem Herzen. Und ich habe mich nach bestem Wissen und Gewissen darauf vorbereitet. Gekommen ist alles anders. Doch dazu später mehr. Ich weiß noch, dass ich mich einmal mit jemandem unterhalten habe, die auch Menschen durch Prozesse begleitet und sie erzählte: „Da war grade eine Hebamme bei mir, die selbst aber eine furchtbare Geburt hatte.“
An sich ist an diesem Satz ja jetzt noch nichts dabei. Doch der Ton (und das weitere Gespräch) zeigten die Haltung dahinter: grade eine Hebamme, die so viele Geburten begleitet, sollte es doch wohl schaffen, dass ihre eigene Geburt gut wird.
Ähnliche Dinge beobachte ich auch häufig in der „Spiri-Bubble“. Du hast es halt im Vorfeld nicht geschafft, deine Blockaden zu lösen oder warst nicht frei oder vertrauensvoll genug, wenn du das nicht so hingekriegt hast, wie du es wolltest.

Das ist Bullshit!

Ja, es wäre schön, wenn wir alles im Leben leiten und kontrollieren könnten. Dann könnten wir uns sicher sein, dass Dinge so passieren, wie wir uns sie wünschen. Doch das spielts nicht! Alle, die das behaupten, haben entweder einen sehr kreativen Blick auf die Realität oder haben sich ein künstliches Sicherheitskonstrukt geschaffen, das diesen Schein aufrecht erhält, das aber mit echtem Leben nicht viel zu tun hat. (Ich höre schon die Aufschreie aus den eigenen Reihen…)
Ich bin ein hochspiritueller Mensch und glaube sehr wohl daran, dass wir unser Leben so führen können, wie wir es uns wünschen. Und ich glaube auch daran, dass alles möglich ist. Und doch bin ich davon überzeugt, dass Unvorhergesehenes und Unerwartetes zum Leben dazugehört. Und dass es nicht darum geht, alles vorherzusehen und zu kontrollieren, sondern darum, eine innere Stabilität und Flexibilität zu entwickeln, die es einem ermöglicht, gelassen und entspannt und vor allem reguliert und mit einem Gefühl von innerer Sicherheit durch diese schwierigeren Lebensphasen zu navigieren.

Tabuthema Kaiserschnitt

In der Welt dieser Menschen bin ich gescheitert. Denn mein Ziel war: eine interventionsfreie und natürliche Geburt. Das habe ich nicht erreicht. Im Gegenteil. Im Endeffekt waren es 46 Stunden mit Einleitung, Schmerzmittel, PDA und schließlich Kaiserschnitt.

Im Vorfeld habe ich eine Geburtsintention geschrieben, die ich hier mit dir teilen möchte:

Ich bin klar und präsent.
Ich bin voll und ganz bei mir. 
Ich fühle mich sicher. 
Ich bin in meiner vollen Kraft und nutze sie. 
Ich lasse los. 
Ich vertraue meinem Körper zu 100%.
Ich höre auf meinen Körper und handle entsprechend. 
Ich vertraue meiner Intuition im gesamten Prozess. 
Ich bin in Verbindung mit allen Menschen, die in der Phase der Geburt für mich wichtig sind.
Ich fühle mich verbunden und unterstützt. 

Ich bin vor, während und nach der Geburt in tiefer und direkter Verbindung mit meinem Kind. 
Ich vertraue auf seine Intuition, seine Fähigkeiten, seinen Instinkt. 

Ich spüre meine Bedürfnisse und kommuniziere sie klar. 
Eine gute, klare und offene Kommunikation vor, während und nach der Geburt ist in meinem Feld normal und selbstverständlich. 
Ich erkenne meine Prägungen, lasse sie los und handle, wie es meiner eigenen Natur entspricht. 

Alle meine Gefühle und Emotionen sind ok. Ich spüre sie und lasse sie zu. 
Ich bin gelassen, ruhig und voller Vertrauen. 
Ich nutze alle meine Fähigkeiten, um mich selbst bestmöglich im Geburtsprozess zu unterstützen. 
Ich nehme Unterstützung von außen an und fordere sie ein. 

Und weißt du was? Obwohl ich eine Geburt hatte, wie ich sie mir nie gewünscht habe (siehe oben) hat sich diese Intention zu 100% erfüllt. Denn ich habe in Verbindung mit mir und meinem Kind die bestmögliche Entscheidung für den Moment getroffen. Das hat dazu geführt, dass wir beide gesund und rundum unterstützt aus diesem Wahnsinns-Prozess rausgekommen sind.

Medizin für mich selbst

Vielleicht war dieses Erlebnis die beste Medizin für mich selbst. Denn wenn ich so ganz ehrlich bin, dann war vorher auch noch ein Fünckchen dieser oben beschriebenen Einstellung in mir: wenn ich mich gut genug vorbereite und alle Blockaden löse, dann werde ich meine natürliche und interventionsfreie Geburt schon schaffen.
Oder halt eben auch nicht. Denn jetzt mit dem Blick auf meine eigene Geschichte kann ich aus tiefstem Herzen sagen: Ich habe alles genau so gemacht, wie es für mich und den Moment richtig war. Sowohl vorher als auch währenddessen. Und auch, wenn ich nicht die Geburtserfahrung hatte, die ich mir gewünscht habe, habe ich nichts falsch gemacht.

Und hier sind wir wieder beim Thema. Auch mit dieser Erfahrung gehe ich sehr offen um, denn ich weiß, wie viele Frauen sich Vorwürfe machen, weil ihre Geburt nicht so war, wie sie es sich gewünscht hätten. In vielen Fällen kommt dann noch unsensibles oder sogar übergriffiges Verhalten vom Krankenhaus-Personal dazu, das als „normal“ bezeichnet wird. An dieser Stelle kann ich nur meinen tiefsten Dank an das Team der Geburtenstation im KH Lilienfeld aussprechen. Denn ihre Betreuung und medizinische Versorgung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich die Geburt meines Kindes heute zwar als schwierig, aber nicht als traumatisch bezeichne.

Mein Appell an dich

Wenn du eine Geschichte hast, für die du dich schämst, die du niemandem erzählst, weil du Angst hast, dafür verurteilt zu werden. Oder wenn du ein Erlebnis hast, über das im Allgemeinen nicht gesprochen wird, weil man es halt nicht macht oder eines, an dem du dir selbst die Schuld gibst. Tu mir den Gefallen und sprich darüber.
Such dir jemanden, der oder die dir verständnisvoll, wertschätzend und mitfühlend zuhört und teile dein Erlebnis. Und wenn du den Mut hast und es sich für dich richtig anfühlt, dann sprich öffentlich darüber. Denn damit holst du dein Thema aus dem Tabu raus und unterstützt andere, die Ähnliches erlebt haben.
Wenn du möchtest, kannst du das natürlich im Rahmen meiner Blogparade „TABU-Talk: Über dieses Thema möchte ich endlich offen reden!“ machen. Wenn du keinen eigenen Blog hast oder dir das Internet zu öffentlich ist, dann schreib mir gerne deine Geschichte per Mail an befreit@generose-sehr.com.

Ich freu mich drauf, von dir zu lesen!!

Generose Sehr

Sängerin und Spezialistin für den emotionalen Deep Shit

Ich brenne dafür, Menschen dabei zu unterstützen ihren ureigenen Weg zu finden und echtes Selbst-Bewusst-Sein zu entwickeln – abseits von Gesellschaftsmustern, familiären Prägungen und „das macht man halt so“. Mein Herz schlägt für Visionär*innen und Menschen, die das Gefühl haben, in unserer Gesellschaft fehl am Platz zu sein.
Ich selbst bin Entwicklungsjunkie und süchtig nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen. Das hat dazu geführt, dass ich nach meinem Studium in Gesangspädagogik noch eine Ausbildung in Craniosaraler Körperarbeit und den Epigenetik Coach angehängt habe und da stehen noch ein paar mehr Dinge auf meiner Liste.
Ich schreibe hier über transgenerationale Vererbung, frühkindliche und pränatale Prägungen und wie sich das auf unser Leben auswirkt. Außerdem erzähle ich gerne meine eigenen Geschichten (oder die meiner Klient*innen), um zu zeigen, wie wir den alltäglichen Herausforderungen des Lebens begegnen können.

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